New Work und agiles Arbeiten: Wandel, der wirklich wirkt
Experte Alexander Joedecke über echte Veränderung in Mittelstand und Konzernen
New Work und agiles Arbeiten prägen längst nicht mehr nur Start-ups – auch Mittelstand, Verwaltungen, soziale Organisationen und Unternehmen im öffentlichen Bereich stehen vor der Frage, wie sie ihre Zusammenarbeit zukunftsfähig gestalten können.
Für uns bei SinnZwei bedeutet das, die Dynamiken in Organisationen systemisch zu betrachten: Wechselwirkungen, Organisationen als soziale Systeme, Kommunikationswege und Paradoxien. Nur wer diese Zusammenhänge versteht, kann Strukturen schaffen, die individuell wirksam und nachhaltig tragfähig sind.
In unserer Arbeit – wie beispielsweise der Workshop zur Teamentwicklung mit den Münchner Freiwilligen – zeigt sich immer wieder, was entsteht, wenn strategische Orientierung und eigenverantwortliches Handeln in Balance kommen.
Doch neue Wege entstehen selten im Alleingang. Sie brauchen frische Impulse, neue Perspektiven und den Mut, gewohnte Muster zu hinterfragen. Genau hier setzen Konzepte wie New Work und agiles Arbeiten an und bieten zudem oft ungeahnte Vorteile. Über Chancen, Herausforderungen und echte Erfolgsfaktoren in diesem Bereich haben wir mit Alexander Joedecke gesprochen – einem systemischen Organisationsberater und New Work Experten, der seit Jahren Unternehmen auf ihrem Weg in die neue Arbeitswelt begleitet.
New Work bedeutet nicht mehr „Freiheit“, sondern mehr Verantwortung.
SinnZwei: Viele verstehen New Work als Synonym für mehr Freiheit. Teilst du diese Sichtweise – und wo wird er deiner Meinung nach oft falsch interpretiert?
Alexander Joedecke: Viele verstehen New Work und agiles Arbeiten als Synonym für mehr Freiheit – weniger Regeln, weniger Hierarchie, mehr Wohlfühlatmosphäre. In der Praxis ist es etwas anders:
New Work und agiles Arbeiten bedeuten mehr Freiheit, und daher mehr Verantwortung.
Wenn Teams wirklich agil arbeiten sollen, brauchen sie Klarheit, Vertrauen und Entscheidungsfähigkeit. Das ist anspruchsvoll – aber genau darin liegt der echte Gewinn. Denn Selbstbestimmung funktioniert nur, wenn Verantwortung und Eigeninitiative zusammenkommen.
SinnZwei: Welche Werte und Prinzipien sind bei agilem Arbeiten von Bedeutung?
Alexander Joedecke: Agiles Arbeiten bedeutet Offenheit, Mut, Respekt, Fokus und Kommittent. Wichtige agile Prinzipien sind Transparenz, Eigenverantwortung, kontinuierliches Feedback, Zusammenarbeit auf Augenhöhe und Anpassungsfähigkeit. Sie fördern effektive Teamarbeit, schnelle Reaktionen auf Veränderungen und die Entwicklung von Produkten mit echtem Kundennutzen.
Konsequenz als Knackpunkt von New Work und agilem Arbeiten
SinnZwei: Wo scheitern viele Transformationsprozesse deiner Erfahrung nach?
Alexander Joedecke: Viele Transformationsprozesse scheitern nicht an fehlenden Ideen – sondern an fehlender Konsequenz.
New Work und agiles Arbeiten werden oft als Projekte gestartet, nicht als Haltungsänderung verstanden. Man führt neue Tools ein, benennt Teams um oder macht Workshops – aber die Grundlogik bleibt dieselbe.
Echte Veränderung passiert erst, wenn Führung bereit ist, Kontrolle abzugeben und Verantwortung wirklich zu teilen.
Transformation ist kein Methodenwechsel, sondern ein Kulturwandel. Und der braucht Mut, Klarheit und Geduld – nicht nur PowerPoint-Folien.
Agiles Arbeiten und New Work sind der Multiplikator für Innovation und Transformation. Genau hier setzt meine Arbeit in der Beratung an – vom Familienunternehmen bis zum Konzern.
Agiles Arbeiten verändert Führung grundlegend – von Kontrolle zu Vertrauen
SinnZwei: Wie verändert New Work und agiles Arbeiten die Erwartungen an Führungskräfte und Teams und was sind konkrete Vorteile?
Alexander Joedecke: New Work und agiles Arbeiten stellen vieles auf den Kopf, was den Begriff Führung früher ausgezeichnet beziehungsweise definiert hat – das gilt für den Mittelstand ebenso wie für Konzerne oder auch Verwaltungen.
Früher ging es um Planung, Kontrolle und Entscheidungskompetenz. Heute geht es um Orientierung, Vertrauen und Lernfähigkeit.
Führungskräfte müssen loslassen können – und Teams müssen Verantwortung annehmen wollen.
Diese Balance ist die größte Herausforderung: Wer zu viel Freiheit gibt, schafft Unsicherheit. Wer zu viel steuert, blockiert Agilität. Erfolgreiche Führung heißt heute, Räume zu öffnen – und sie klar zu halten.
New Work im Mittelstand: Mut schlägt Methode
SinnZwei: Alexander, du arbeitest mit vielen Unternehmen im Mittelstand – welche Herausforderungen siehst du dort bei der Einführung von New Work und agilen Strukturen?
Alexander Joedecke: Der Mittelstand denkt pragmatisch – das ist seine Stärke, doch oft wird New Work und Agilität als Methodenpaket verstanden, statt als Kulturthema.
Es braucht Klarheit, Mut und Konsequenz, Dinge anders zu machen – nicht noch mehr Tools.
Veränderung passiert nicht durch neue Software, sondern durch Haltung.
Und genau das ist oft der härteste Schritt: von der gewohnten Effizienzlogik in eine lernende, anpassungsfähige Organisation zu kommen.
Mitarbeitende beteiligen, ohne sie zu überfordern
SinnZwei: Wie kann man Mitarbeitende in Veränderungsprozesse einbinden, ohne sie zu überfordern?
Alexander Joedecke: Veränderung funktioniert nur mit den Menschen, nicht gegen sie.
Das klingt selbstverständlich, wird aber oft vergessen. Viele Unternehmen rollen New Work und agiles Arbeiten top-down aus – und wundern sich, warum die Teams innerlich auf die Bremse treten.
Der Schlüssel liegt darin, Beteiligung mit Orientierung zu verbinden. Mitarbeitende brauchen Klarheit darüber, warum etwas verändert wird und wohin die Reise geht. Gleichzeitig müssen sie die Möglichkeit haben, den Weg aktiv mitzugestalten.
Transparenz, echte Dialogformate und psychologische Sicherheit sind hier entscheidend.
Menschen wollen sich einbringen, aber sie brauchen Halt in der Veränderung. Gute Führung erkennt diesen Balancepunkt – zwischen Vertrauen und Führung, Freiheit und Struktur.
Reife statt Hype: Was erfolgreiche Unternehmen anders machen
SinnZwei: Was hat sich in Unternehmen, die New Work wirklich leben, messbar verändert?
Alexander Joedecke: Wenn New Work und agiles Arbeiten wirklich gelebt werden, sieht man die Vorteile – und man spürt es.
Die Kommunikation wird offener, Entscheidungen werden dort getroffen, wo das Wissen ist, und Verantwortung ist breiter verteilt.
Messbar verändert sich vor allem eines: die Energie im System. Teams übernehmen Verantwortung, weil sie verstehen, warum es wichtig ist. Projekte kommen schneller in Bewegung, Reibungsverluste nehmen ab, und Führungskräfte gewinnen Zeit für das, was wirklich zählt – Menschen zu entwickeln, statt Prozesse zu verwalten.
Auch die Zufriedenheit steigt, aber nicht, weil es buntere Büros gibt, sondern weil Sinn und Wirksamkeit spürbar werden.
Das sind die wahren Kennzahlen von New Work: Sinn, Vertrauen und Leistung im Einklang.
New Work in der Praxis
SinnZwei: Was sind die Vorteile, wenn New Work und agiles Arbeiten wirklich gelebt werden?
Alexander Joedecke: Da fällt mir beispielsweise Trumpf ein. In einem Competence Center im Zentralbereich Marketing Sales und Services haben wir die Umsetzung der Geschäftsjahresziele von der Basis aus neu aufgebaut.
Statt nur die Methode OKR einzuführen – kurz für „Objectives and Key Results“ – haben wir am Umgang miteinander gearbeitet: Weg vom Durchsteuern durch das Management hin zu einem „Open Space“, also der direkten Beteiligung der Mitarbeitenden. Der findet alle drei Monate statt. Letztlich wie OKR, aber selbst entwickelt und von innen heraus gestaltet.
Der Effekt lässt sich messen: Beim ersten Durchgang rechnete das Management bei zwölf Themen mit Klärungsbedarf – tatsächlich gab es den aber nur bei acht und das auch noch bei anderen Themen als gedacht. Die richtigen Menschen zu den richtigen Themen!
Bei einem Team in diesem Bereich haben wir die Besprechungskultur völlig verändert – ebenfalls hin zu einem offenen Format per Kanban-Board. Auch hier haben wir mit der Art der Zusammenarbeit angefangen. Mehr als ein Jahr später gibt es immer noch regelmäßig Retrospektiven, weil das im Team als Wert erlebt wird, besonders in anspruchsvollen Zeiten.
Die Aussage von Rainer Schüßler, dem Teamleiter im Zentralbereich TRUMPF SE + Co. KG dazu bringt den Erfolg sehr gut auf den Punkt: „Das Team bittet mich für 10 Minuten in ihre Besprechung, holt sich die 4 Entscheidungen, die sie brauchen und schicken mich dann wieder raus – optimal! Der Rahmen ist allen bekannt und Entscheidungen werden dort getroffen, wo sie anfallen. Wir haben unsere Besprechungszeiten wesentlich verringert und dieses Team hat an Handlungsfähigkeit gewonnen – und damit das ganze Unternehmen“.
Es fällt erstmal schwer, nur über Zusammenarbeit zu sprechen und eben nicht auf der Sachebene über das Produkt. De facto steigt der fachliche Fokus jedoch um ein Vielfaches, wenn die Zusammenarbeit funktioniert. Dahinter steckt also ein wirtschaftliches Interesse, keine Feel-good-Initative!
Persönlicher Zugang zu New Work und agilem Arbeiten
SinnZwei: Alexander, wie bist du selbst zu den Themen New Work und agiles Arbeiten gekommen?
Alexander Joedecke: Meine Leidenschaft für Ingenieurskunst, Produktentwicklung und Systemtheorie hat mich von Anfang an geprägt. Ich habe im Sondermaschinenbau gearbeitet, in einem „Gerade-noch-Start-up“ und in der Chemiebranche. Schon in meiner ersten Stelle als Produktentwickler habe ich gemerkt, dass man an der technischen Qualität eines Produkts erkennt, wie gut Menschen zusammenarbeiten – ein Gedanke, der später für mich eng mit dem Ansatz New Work und agiles Arbeiten verbunden war.
Geprägt haben mich fast 20 Jahre internationale und interdisziplinäre Projektarbeit in der Produktentwicklung eines schwäbischen, traditionsreichen Maschinenbauunternehmens. Dieses Unternehmen hätte damals nie gesagt, dass es agil arbeitet – und doch war die Haltung genau das, was man heute unter wirksamer Zusammenarbeit versteht.
Durch meine systemische Ausbildung bei Simon Weber Friends kenne ich die Theorie hinter agilen Prinzipien und kann sie in Projekten gezielt anwenden. Diese Vorteile ermöglicht mir eine Art „Troubleshooting“, wenn New Work und agiles Arbeiten in Organisationen nicht greifen. Genau dort, wo es schwierig wird, entsteht für mich der spannendste Lernraum.
Wir lernen dort, wo es nicht funktioniert – nicht dort, wo alles glatt läuft
Als ich später mit der agilen Szene in Stuttgart in Kontakt kam, habe ich mich fachlich wie menschlich sofort zu Hause gefühlt. Für mich als systemischen Organisationsentwickler sind agile Settings eine Verbindung aus Handwerk und sozialer Kunst – und genau deshalb kann ich das Thema heute authentisch und mit Überzeugung vertreten.
Agilität ist kein Projekt – sie ist eine Haltung
SinnZwei: Wenn du in einem Satz zusammenfassen müsstest, was Unternehmen über New Work und agiles Arbeiten verstehen sollten – was wäre das?
Alexander Joedecke: Agilität ist kein Projekt, das man einführt und abhakt.
Es ist eine Haltung, die sich in jedem Meeting, jeder Entscheidung und jedem Führungsverhalten zeigt. Wenn Unternehmen das verinnerlichen, verändert sich alles – ganz ohne große Schlagworte. Denn gute Arbeit braucht gute Beziehungen!
Unser Fazit zu New Work und agiles Arbeiten
Das Gespräch mit Alexander Joedecke zeigt: New Work und agiles Arbeiten entfalten Vorteile und Wirkung nicht durch Methoden, sondern durch Haltung – durch Vertrauen, Verantwortung und ein gemeinsames Verständnis von Veränderung.
Wir bedanken uns herzlich bei Alexander Joedecke für die inspirierenden Einblicke und den offenen Austausch.
Als systemische Organisationsberaterinnen teilen wir von SinnZwei diesen Blick auf Entwicklung: nachhaltige Veränderung entsteht dort, wo Menschen befähigt werden, Strukturen aktiv mitzugestalten.
Ob im öffentlichen Bereich, in sozialen Organisationen oder in der Wirtschaft – überall gilt: Zukunftsfähigkeit braucht ein System, das Lernen, Anpassung und Miteinander ermöglicht. Genau hier treffen sich die Perspektiven von SinnZwei und Alexander Joedecke – in der Überzeugung, dass Wandel nur dann gelingt, wenn Menschen und Organisation gemeinsam wachsen.
Wenn Sie über Ihre eigenen Veränderungsthemen und Perspektiven für Ihre Organisation sprechen möchten, kommen wir von SinnZwei gern ins Gespräch – als Ihre Ansprechpartnerinnen für systemische Organisationsberatung. Wir freuen uns auf ein Kennenlernen!